Die Efeu-Seidenbiene – eine späte Bestäuberin

Was haben Seidenbienen wohl mit Seide, Sandkästen, Efeu und Zitrone zu tun?

Alles beginnt im «seidenen Kinderzimmer» 

Ein Efeu-Seidenbienenweibchen in der Nähe ihres Nestes. Man sieht gut ihre rostrote Behaarung auf dem Oberkörper und die breiten hellen Banden auf den Hinterleibsegmenten. (Foto: Rudolf Büchi http://doi.org/10.16902/ethz-a-000098236)

In der Schweiz gibt es mehr als ein Dutzend Seidenbienenarten. Ihren Namen haben sie nicht etwa der Produktion von echter Seide zu verdanken, sondern der «seidenartigen» Auskleidung ihrer Brutzellen. Die Weibchen kleiden ihre Brutzellen mit verschiedenen Drüsensekreten aus, die zum einen antimikrobiell wirken und zum anderen wie eine Art Cellophan den Nachwuchs vor Wasser und Keimen schützen. Von aussen sieht es dann ein bisschen aus wie ein winziger Plastiksack, der mit Pollen und Nektar gefüllt ist (siehe Abbildung). Ein Ei ist jeweils an der Decke direkt über dem Vorrat befestigt. Die Seidenbienen leben solitär, das heisst, jedes Weibchen gräbt selbst ihr Nest, versorgt jede Brutkammer mit Pollen, den sie aus zahlreichen Sammelflügen zurückbringt und legt ihre Eier in die «seidigen» Kammern. Manche Arten wie die Efeu-Seidenbiene (Colletes hederae) nisten gesellig in kleinen bis mittel-grossen Kolonien. Trotzdem wird jedes Nest im Gegensatz zu Honigbienen oder Hummeln ganz allein von einem Weibchen gebaut und gepflegt.

Brutzelle einer Seidenbiene. Der Pollen-Nektarvorrat (gelb) ist gut verschlossen in einer «seidigen» Brutzelle, die etwas an Cellophan erinnert und den Nachwuchs vor Feuchtigkeit und Keimen schützt. Ein einzelnes Ei ist jeweils an der Decke gegenüber vom Vorrat befestigt. Wenn alles bereit ist, wird die Zelle behutsam mit einem Deckel geschlossen, der fest zugekittet wird. (Foto: Albert Krebs, http://doi.org/10.16902/ethz-a-000008470)
Mit ihren Mundwerkzeugen gräbt ein Weibchen ihr Nest, in welches sie im Laufe ihres Lebens 6-10 Brutzellen bauen wird. (Foto: Rudolf Büchi, http://doi.org/10.16902/ethz-a-000098207)

Am einfachsten anhand ihres Leibgerichtes: Efeu (Hedera helix). Die Efeu-Seidenbiene hat eine zweilappige Zunge, eine rostrote Behaarung des Oberkörpers und auffällige helle Haarbinden auf den Hinterleibsegmenten. Die Weibchen sind etwas grösser als die Männchen und mit 8-14 mm manchmal sogar etwas grösser als eine Honigbiene. Generell gilt, wenn man eine Wildbiene an Efeu sieht, handelt es sich immer um die Efeu-Seidenbiene. Gelegentlich sieht man auch Wespen, Honigbienen und Schwebfliegen am Efeu. Andere Seidenbienenarten, die zu dieser späten Jahreszeit noch fliegen, sind aber nicht an Efeu interessiert und nur an Korbblütlern oder Heidekraut (Colletes succinctus) anzutreffen.  

Eine der letzten Wildbienen im Herbst 

Ein üppiges Blütenbuffet ist im späten Herbst oft nicht mehr anzutreffen, die meisten Wildbienenarten haben spätestens jetzt ihre Flugzeit hinter sich und die Brutzellen gut mit Pollen und Nektar gefüllt. 

Anders als ihre Seidenbienen-Verwandten, die vor allem im Frühling und Sommer unterwegs sind, beginnt die Efeu-Seidenbiene (Colletes hederae) ihre Flugzeit erst in den späten Sommermonaten. Die Efeu-Seidenbiene ist die am spätesten fliegende Art in Mitteleuropa. Die Weibchen beginnen erst im September zu nisten und bei gutem Wetter sind sie bis im November aktiv. Generell scheinen kühle Lufttemperaturen (sofern es nicht in Strömen regnet) die Weibchen nicht daran zu hindern, fleissig Pollen zu sammeln. Selbst bei 10°C beobachtete der Wildbienen-Forscher Paul Westrich noch, wie Weibchen vollbeladen mit Pollen zu ihrem Nest zurückflogen.  

Ihr Lieblingspollen enttarnte die Efeu-Seidenbiene 1993 als eigenständige Seidenbienenart 

Die Efeu-Seidenbiene wurde im Vergleich zu anderen Wildbienen erst vor knapp 30 Jahren erstmals als eigene Art beschrieben. Erst wiederholte Meldungen über den ungewohnten Blütenbesuch von der auf Heidekraut spezialisierten Colletes succinctus (Heidekraut-Seidenbiene) an Efeu (Hedera helix) liessen die Forscher K. Schmidt und P. Westrich vermuten, dass es sich bei diesen Bienen um eine eigene Art handeln könnte. Um den gesammelten Pollen zu analysieren, fingen sie in einer Studie Weibchen ein und setzten sie in Kunststoffröhrchen. Nach einigen Minuten begannen die Bienen, sich zu putzen und der Pollen konnte so aufgefangen werden, während die Bienen unversehrt wieder freigelassen wurden. Auch der Inhalt einiger Brutzellen wurde analysiert. Unter dem Mikroskop kann anhand der spezifischen Form und Grösse der Pollenkörner auf die Pflanzenfamilie geschlossen werden und zum Teil sogar auf eine Pflanzenart. Und tatsächlich, sobald der Efeu blühte, sammelten die untersuchten Bienen fast nur noch Efeu-Pollen. Dies war ein wichtiger Hinweis, dass diese Bienen keine Heidekraut-Seidebienen sind.

Abbildung 4: Eine Efeu-Seidenbiene (Colletes hederae) sammelt fleissig Pollen und Nektar von Efeu (Hedera helix), um einen Vorrat für ihren Nachwuchs anzulegen. Foto: Rudolf Büchi http://doi.org/10.16902/ethz-a-000098282 
Abbildung 5: So sahen Teile der Pollenladungen der untersuchten Efeu-Seidenbienen unter dem Mikroskop aus (630x vergrössert). A) Pollen der Herbstzeitlosen (Colchicum autumnale), B) Melilotus albus (Weisser Steinklee) und Colchicum autumnale, C) Solidago canadensis (Kanadische Goldrute), D) Hedera helix (Efeu). Die Fotos stammen aus der Studie von Westrich, P., 2008: Flexibles Pollensammelverhalten der ansonsten streng oligolektischen Seidenbiene Colletes hederae Schmidt & Westrich (Hymenoptera: Apidae) 

Was passiert, wenn der Efeu erst spät blüht und die Bienen bereits geschlüpft sind? 

Lange hielt man die meisten Seidenbienen für oligolektisch, das heisst, dass sie auch beim Vorhandensein anderer Pollenquellen (fast) ausschliesslich Pollen einer bestimmten Pflanzenart oder nah verwandter Pflanzenarten sammeln. Bei Stresssituationen, zum Beispiel wenn die bevorzugten Pollenquellen durch natürliche oder menschliche Einwirkungen ausfallen, wurde zwar auch bei hochspezialisierten Wildbienen vereinzelt eine begrenzte Flexibilität beim Pollensammeln beobachtet. Manche Arten beginnen allerdings erst mit dem Nestbau, wenn ihre bevorzugte Pollenquelle zu blühen begonnen hat. Es wurde allerdings selten beobachtet, dass der Grossteil der Weibchen, wie bei der Efeu-Seidenbiene auf andere Pollenquellen ausweichen kann, wenn ihre Lieblingsblüten noch nicht blühen. Dies wurde in einer Studie von P. Westrich und K. Schmidt untersucht. Solange der Efeu noch nicht blühte, wichen die Weibchen auf andere Pflanzenfamilien aus (unten gelb und pink gekennzeichnet). Sobald der Efeu jedoch anfing zu blühen, wechselten die Weibchen zum Efeu (Familie Araliaceae) als Pollenquelle (grün), bzw. sammelten gar nicht erst an anderen Pflanzen, wenn er bereits blühte.

Prozentualer Anteil der Pflanzenfamilien in Pollenladungen der Efeu-Seidenbiene am 14.09.2006 (der Efeu blüht kaum). Efeu gehört zur Familie Araliaceae, Araliengewächse, hier grün dargestellt. (Hellgelb: Korbblütler; Weinrot: Hülsenfrüchtler; Dunkelgelb, Zeitlosengewächse) .
Prozentualer Anteil am 22.09.2006, der Efeu ist in voller Blüte. Man sieht, dass der Anteil an Efeu-Pollen deutlich zunimmt, sobald der Efeu in voller Blüte ist. Die Abbildungen stammen aus folgender Studie: Westrich, P., 2008: Flexibles Pollensammelverhalten der ansonsten streng oligolektischen Seidenbiene Colletes hederae Schmidt & Westrich (Hymenoptera: Apidae)

Begegnungen mit Efeu-Seidenbienen in Sandkästen 

Im Laufe ihres vierwöchigen «Erwachsenen»-Lebens baut und versorgt eine Efeu-Seidenbiene circa 6-10 Brutzellen. Erstaunlich ist, dass C. hederae in völlig unterschiedlichen Substraten nisten kann, egal ob Sand, Löss, Lehm oder humose Gartenerde, sie kommt scheinbar mit vielem zurecht. Oft sucht sie sich auch Sandkästen und Kinderspielplätze aus, aber auch Stauden- oder Gemüsebeete oder der Rand von Hecken, vegetationsfreie Steilwände und Abbruchkanten sind beliebt. Man hat es als «Wildbienen-Freund» also verhältnismässig leicht, den Efeu-Seidenbienen ein kleines Plätzchen zu bieten.  

Nester der Efeu-Seidenbienen: An vegetationsarmen…
…oder sandigen Böden oder Steilhängen, teils sogar in Sandkästen anzutreffen (Fotos: Rudolf Büchi, http://doi.org/10.16902/ethz-a-000098639 und http://doi.org/10.16902/ethz-a-000098855)

Zur Schlüpf- und Paarungszeit kann es durchaus sein, dass mehrere hundert männliche Bienen vor den Nestern herumschwirren und (un-)geduldig auf ein frisch geschlüpftes Weibchen warten. Sobald ein Weibchen gesichtet ist, umgeben mehrere Männchen ein Weibchen und bilden eine Art «Knäuel». 

Mehrere Männchen stürzen sich auf ein frischgeschlüpftes Efeu-Seidenbienen Weibchen, um sich zu paaren und bilden eine Art «Knäuel». Die Männchen haben bei den Fühlern 13 Segmente, also ein Segment mehr als Weibchen.  (Foto: Rudolf Büchi http://doi.org/10.16902/ethz-a-000098956

Trotz der beeindruckenden Anzahl herumschwirrenden Bienen während der Paarungszeit, braucht man keine Angst zu haben. Die Efeu-Seidenbienen sind äussert friedfertig. Die Männchen haben keinen Stachel und die Weibchen verschwinden lieber ganz schnell in den Gängen ihres Nestes oder fliegen weg. Sie stechen nur in absoluter Lebensgefahr und auch dann ist das Gift viel schwächer als bei einer Wespe oder einer Honigbiene. In der Regel bauen die Bienen ihre Brutzellen zwischen 13 und 42 cm tief im Boden. Findet man ein Nest in einem Sandkasten oder einem Kinderspielplatz, markiert man wenn möglich die Zone, damit die Kinder die Bienen weiterhin aus nicht (allzu ferner) Ferne beobachten können und die Bienen in Ruhe weiter nisten können. Aus jedem Ei schlüpft noch vor dem Winter eine Larve und verzehrt den Futtervorrat in ihrer Brutzelle. Diese überdauert dann in diesem Stadium den ganzen Winter. Erst im nächsten Spätsommer kann man dann wieder die ausgewachsenen Bienen beobachten, wie sie sich aus den Nestern graben und nun selbst für die nächste Generation fleissig Pollen sammeln werden.  

Manche Seidenbienen verströmen einen zitronigen Duft 

Sowohl Weibchen und Männchen der Seidenbienen verströmen einen artspezifischen, manchmal zitronigen Duft. Man fand in neun untersuchten Seidenbienen-Arten Duftstoffe wie Linalool, Neral und Geranial. Ihr zitrusähnlicher Duft wirkt auf beide Geschlechter anziehend. Man weiss allerdings noch nicht genau, was weitere Funktionen dieser Duftstoffe sein könnten. Bislang vermuten Forscher, dass sie u.a. benutzt werden, um Nahrungsquellen zu markieren, Männchen anzuziehen, männliche Territorien zu markieren oder sogar eine Verteidigungsfunktion haben könnten. 

Laut der Roten Liste des BAFU gelten 45% der heimischen Wildbienenarten als gefährdet. Die Efeu-Seidenbiene gilt im Gegensatz zu vielen anderen Wildbienenarten in der Schweiz und Deutschland als verbreitet und ist aktuell nicht gefährdet. Gerade im Herbst sind viele Blüten bereits verblüht und Spätblüher wie der Efeu werden umso wichtiger nicht nur für die Efeu-Seidenbiene, sondern auch für Honigbienen, Wespen, Schwebfliegen, Hummeln und Schmetterlinge. Wer Efeu im Garten hat, kann diesen am besten erst nach der Blüte zurückschneiden und erhält insbesondere alte Efeubestände, da diese eine wichtige Nektar- und Pollenquelle darstellen. Wer mag kann auch ein Plätzchen im Garten freihalten. Sie graben ihre Nester gerne in Steilwänden (schon eine Höhe von 10 cm ist attraktiv) aus Sand oder Lehm oder auch an vegetationsarmen Bodenstellen. Und mit ein bisschen Glück kann man schon bald ein paar eifrige Efeu-Seidenbienen beobachten.  

Auch andere Insekten wie Schwebfliegen (rechts), Wespen (links) und andere Fliegen besuchen im Herbst gerne blühende Efeubestände. Foto: Rudolf Büchi http://doi.org/10.16902/ethz-a-000098277 

Literatur

Westrich, P. 2019: Die Wildbienen Deutschlands. 2., aktualisierte Auflage, 824 S., 1700 Farbfotos. Stuttgart (E. Ulmer). 

Felix Amiet, Albert Krebs 2019, Bienen Mitteleuropas: Gattungen, Lebensweise, Beobachtung, 3., korrigierte Auflage, S. 193, 196 

Westrich, P.: Flexibles Pollensammelverhalten der ansonsten streng oligolektischen Seidenbiene Colletes hederae Schmidt & Westrich (Hymenoptera: Apidae) 

Text: Michelle Knecht, BienenSchweiz